„Das macht der schon immer so“

Das macht der schon immer so
9. Mai 2023
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Hund

Wenn mir Hunde neu vorgestellt werden, untersuche ich sie erst einmal gründlich. Dabei gibt es viele Punkte, die sehr wichtig sind, denn der Ausspruch „der Hund hat an der Stelle Schmerzen“ ist selten der ausschlaggebende Hinweis auf das Problem, das der Hund hat. Zum einen spielt das Gespräch mit dem Besitzer eine große Rolle bei der Untersuchung. So bekomme ich einen Einblick in den Alltag des Hundes, und häufig erzählt man mir beiläufig von Verhaltensweisen der Hunde, die erste Hinweise auf ihre körperlichen Einschränkungen geben. Zum anderen untersuche ich die Gelenke des Hundes auf Beweglichkeit und schaue mir an, wie der Hund sich bewegt. Dabei geht es nicht nur darum, wie das Gangbild des Hundes aussieht, sondern auch darum, wie der Hund sitzt, liegt, aufsteht, die Rute hält, sich dreht oder schüttelt, usw. Wenn ich Hundebesitzer auf Auffälligkeiten ihrer Hunde anspreche, ist die Antwort erstaunlich oft: „Das macht der schon immer so“. Ich stelle immer wieder fest, dass es für die meisten Leute damit erledigt ist. Ganz nach dem Motto: „Was in jungen Jahren so ist, das gehört so“. Die Wenigsten machen sich leider Gedanken darüber, dass das Verhalten vielleicht nicht für diesen Hund normal, sondern ein angeborenes Problem ist. Denn es gibt sehr wohl viele Hunde, die mit Gelenkkrankheiten, Gendefekten, ungünstigen Proportionen usw. geboren werden.

Verhaltensauffälligkeiten als Hinweis auf gesundheitliche Probleme

Hier sind ein paar Beispiele aus meinem Berufsalltag:

„Ja, die hat gar keine Körperspannung. Schon als Welpe war sie wie ein nasser Sack, wenn man sie hochgenommen hat.“ -> Hund mit sehr langem Rücken und Bandscheibenvorfall.

„Der sitzt schon von klein auf nie mittig, sondern immer auf einer Seite.“ -> Hund mit HD.

Und ganz interessant (und SEHR häufig) wird es bei: „Das ist bei der Rasse normal, die hüpfen alle so.“ -> Patellaluxation. Und an dieser Stelle: Nein, es ist selbstverständlich NICHT normal, dass die Kniescheibe alle paar Meter raus rutscht.

Ich möchte hier niemandem einen Vorwurf machen. Die meisten Hundebesitzer wollen nur das Beste für ihre Hunde und haben sich schlichtweg nie Gedanken darüber gemacht, dass es eine gesundheitliche Ursache für das Verhalten ihrer Hunde geben könnte.

Warum auch scheinbar gesunde Hunde regelmäßig untersucht werden sollten

Vielleicht denkst du jetzt: Okay, diese Hunde bewegen sich anders, aber sie haben ja kein Problem damit. Jain. Natürlich gibt es die Meinung, dass man nichts behandeln muss, was kein Problem macht. Und wenn der Hund trotz seltsamem Bewegungsmuster keinerlei Verspannungen und Schmerzen hat, behandle ich selbstverständlich auch nichts. Es ist aber so, dass immer wenn eine Struktur geschont wird, eine andere überbelastet wird. Je nach Ausprägung des ursprünglichen Problems kommt diese Überbelastung bei manchen Hunden schon im ersten Jahr zum Tragen, bei anderen vielleicht erst nach 8 oder 10 Jahren. Ich persönlich bin kein großer Fan davon einfach abzuwarten und zu hoffen dass die Gelenke ein paar Jahre durchhalten. Und erfahrungsgemäß tut es den meisten Hundebesitzern im Nachhinein auch leid dass sie nicht früher reagiert haben. Was wäre also der bessere Weg als zu warten bis alles den Bach runter geht?

Zuerst ein mal ist es wichtig zu wissen ob dein Hund körperliche Schwachstellen hat und wo diese liegen. Das ist der wichtigste Schritt, denn so kannst du selber ein Auge darauf haben wie dein Hund sich zum guten oder schlechten entwickelt.

Weiter geht es mit Training. Für viele klingt das erst mal etwas seltsam, aber es gibt viele schöne Übungen mit denen du deinen Hund gesund halten kannst. Das kann gezieltes Muskeltraining für einzelne Muskelgruppen sein oder die Körperspannung sein. Dadurch können geschädigte Gelenke oder auch die Wirbelsäule stabil gehalten werden und so Folgeschäden minimiert werden. Außerdem gibt es viele Dinge die man im Alltag einfach integrieren kann um den Hund zu unterstützen, indem man zum Beispiel die täglichen Gassirunden etwas anpasst oder anspruchsvoller gestaltet.

Sollte der Hund trotz regelmäßigem Training immer wieder zu Schonhaltungen und Verspannungen neigen kann es sein dass regelmäßige physiotherapeutische Behandlungen notwendig sind um deinen Hund gesund zu erhalten. Dabei kann „regelmäßig“ sehr individuell sein. Manche Hunde kommen wöchentlich zu mir, anderen reichen Behandlungen alle paar Wochen.

Mein wichtigster Tipp an dich: Schau dir deinen Hund genau an. Und schau dir andere Hunde an. Und zwar unbedingt auch Hunde von anderen Rassen und in anderen Größen. Wie läuft dein Hund, wie sitzt dein Hund, wie liegt dein Hund? Das kann den Unterschied machen ob dein Hund im Alter noch schmerzfrei ist oder nicht.

Foto von Leo Rivas auf Unsplash

Evelyn Nickel

Mein Name ist Evelyn Nickel. Ich bin ausgebildete und zertifizierte Tier­physio­therapeutin und habe mich auf Pferde spezialisiert.

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